»Normales Glaubensmerkmal«

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat sich aus Anlaß des Internationalen Frauentags ablehnend über ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geäußert, das einer muslimischen Rechtsrefendarin das Tragen des Kopftuchs im Gerichtssaal untersagt. Mit dem Urteil werde, so der ZMD, »das Selbstbestimmungsrecht der muslimischen Frau mit Füssen getreten [sic!]«.

Die betroffene Frau werde in ihrer Freiheit der Berufswahl eingeschränkt »und zudem unsere im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit eingeschränkt«, wie Nurhan Soykan, der stellvertretende Vorsitzende des ZMD erklärt. »Ein normales Glaubensmerkmal« werde »unter [dem] Vorwand der Neutralitätsachtung« durch das Urteil »erst zum Politikum und zur Voreingenommenheit gemacht«.

Wer freilich so für das Kopftuch wirbt, verharmlost, wofür es steht. Das Kleidungsstück kann ganz ohne Zweifel Ausdruck der Selbstbestimmung seiner Trägerin sein. Doch schon wer es zum »normalen Glaubensmerkmal« erklärt, räumt ja ein, daß es eben mehr ist als ein beliebiges Accessoire. Eine Muslimin, die das Tuch nicht tragen möchte oder tatsächlich nicht trägt, ist danach gar keine.

Und damit wird das Selbstbestimmungsrecht der »muslimischen Frau« durch den Zwang zum »normalen Glaubensmerkmal« eingeschränkt, nicht durch ein Urteil, das die Neutralitätspflicht des Staates auch im Gerichtssaal betont. Die in Deutschland freilich alles andere als konsequente Trennung von Staat und Religion wird durch ein allzu sichtbares »normales Glaubensmerkmal« unterlaufen.

Daß das (muslimische) Kopftuch wenig mit Selbstbestimmung zu tun hat, macht derweil auch ein Blick in die Islamischen Republik Iran deutlich: Dort wurde Vida Movahed, eine Frau, die das Kopftuch ablegte, gerade zu zwei Jahren Haft verurteilt – zur Freude des »Revolutionsführers« Ayatollah Ali Khamenei. Für ihn ist die Würde der Frau abhängig davon, ob sie ein Kopftuch trägt.

Wer aber die Würde eines Menschen von einem Stück Stoff abhängig macht, nimmt sie ihm damit. In zivilisierteren Staaten, zu denen Deutschland sich zählt, basiert die Menschenwürde indes auf dem Dasein als Mensch an sich. In Widerspruch zu diesem Grundsatz begibt sich, wer das »Selbstbestimmungsrecht der muslimischen Frau« erst dann verwirklicht sieht, trägt sie ein Kopftuch.