Bigotte Sorge

Die von der Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vorangetriebene Justizreform hat am Montag eine wichtige Hürde in der Knesset genommen, dem israelischen Parlament. Während jene Parlamentarier, die das Projekt ablehnen, die Parlamentssitzung boykottierten, stimmten die anwesenden 64 Volksvertreter einhellig und damit einstimmig für eine Änderung bzw. die Abschaffung der sogenannten Angemessenheitsklausel.

Mit diesem Reformschritt werden Befugnisse des Obersten Gerichtshofs eingeschränkt, Gesetze sowie Entscheidungen von Regierungsmitgliedern als »unvernünftig« zu charakterisieren und deren Rücknahme einzufordern. Selbstverständlich kann diese Änderung wie das gesamte Reformvorhaben kritisiert werden, insbesondere durch Bürger Israels. Mahnende oder »besorgte« Ratschläge des Auslands indes verdienen ihrerseits Kritik.

Denn diese »Kritik« sagt mehr aus über die, die sie äußern, als über die in Israel geplante Justizreform. Läßt etwa das Weiße Haus verlauten, es sei »bedauerlich«, daß der Gesetzesvorschlag mit »der kleinstmöglichen Mehrheit« verabschiedet wurde, ist das vor allem peinlich für Washington: Das Parlament in Jerusalem hat 120 Sitze, die Mehrheit hat daher, ein volles Haus vorausgesetzt, wer oder was mindestens 61 Stimmen bekommt.

Zu Schwächen in der Beherrschung der Grundrechenarten offenbaren sich in der »Kritik« mangelnde Kenntnisse der Verhältnisse in Israel: Heißt es aus Berlin, man fürchte dort um »die Demokratie in Israel«, ist das nicht bloß unkonkret. Wird die Demokratie wirklich dadurch gefährdet, daß demokratisch legitimierte Institutionen gestärkt, ein Gremium hingegen, das bisher nicht demokratisch rückgebunden ist, geschwächt werden?

Kämen die deutschen Verfassungsrichter auf die Idee, einen Minister für »amtsunwürdig« zu erklären und damit dessen Entlassung zu verlangen, wollten die gleichen Richter selbst über die Ernennung neuer Verfassungswächter bestimmen, sie würden dafür wohl nicht überbordender demokratischer Begeisterung bezichtigt. Wer jedoch die Beschränkung von Befugnissen kritisiert, die es im »eigenen« Land noch nicht einmal gibt, ist bigott.

1 Comment

  1. Danke für Ihren Kommentar, tw_24.

    Mich stört inzwischen gewaltig, mit welcher Einhelligkeit sich hier diverse Leute, aber auch Organisationen wie die DIG, über die Justizreform in Israel mokieren. Hier wäre eine deutliche Zurückhaltung angebracht.

    Natürlich kann man diese Reform auch kritisieren. Aber die „Jüdische Allgemeine“ z.B. bringt es nicht fertig, auch nur in einem Artikel neutral über Netanjahus Position oder die der Reformbefürworter zu berichten, ohne gleichzeitig Kritik unterzubringen. Der Position der Reformgegner wird dagegen großzügig Platz eingeräumt.
    https://www.juedische-allgemeine.de/israel/es-ist-ein-notwendiger-demokratischer-schritt/

    Es wird gerade so getan, als gehe die Welt unter und Israel mutiere zu einer Diktatur. Dem ist m.E. keineswegs so. Es spricht nämlich auch einiges für diese Reform. Und die Tatsache, dass sich Reservisten und Teile der Armee öffentlich den Reformgegnern anschließen, verdient nicht Respekt sondern Kritik. Die Armee hat nicht die Politik zu bestimmen, das ist eines der Grundelemente einer Demokratie.

Comments are closed.