Schlagwort: Demokratie

Demokratische Normalität

Nach eineinhalb Jahren in der Opposition und einem Erfolg des politisch rechten Lagers bei vorgezogenen Parlamentswahlen schickt sich Benjamin Netanjahu an, erneut das Amt des israelischen Ministerpräsidenten zu übernehmen. Und obschon die neue Regierung die Amtsgeschäfte noch gar nicht übernommen hat, gelten ihr umfangreiche Kritik und, vor allem aus dem Ausland, maßloses Ressentiment.

Israel ist eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten. Das heißt leider nicht, daß alles reibungslos funktioniert: Vor allem scheint es schwierig in Israel, verläßliche Aussagen über die Dauer einer Legislatur zu machen. Theoretisch wird ein Parlament für vier Jahre gewählt, das eine Regierung bestimmt. Praktisch ist die von Premier Yair Lapid geführte Regierung seit Juni 2021 im Amt, aber längst ohne Mehrheit.

Die daher angesetzten Neuwahlen zur nunmehr 25. Knesset am 1. November brachten für die amtierende Koalition keine Mehrheit mehr, obwohl Yesh Atid, die Partei des amtierenden Premiers, deutlich zulegen konnte. Gestärkt wurde das »rechte« Lager, wobei dort Benjamin Netanjahus Likud als führende Partei trotz höherer Wahlbeteiligung ihr Ergebnis aus den vorherigen Wahlen nicht mehr erreichen konnte.

Auch wenn die neueste von Benjamin Netanjahu geschmiedete Koalition über eine deutlichere parlamentarische Mehrheit verfügt als die amtierende Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit, ist damit schon die Grundlage gelegt für einen vorzeitigen Bruch im »rechten« Lager, zumal auch Premier Benjamin Netanjahu eher aus persönlichen Gründen ins Amt strebte denn aus authentischen politischen Überzeugungen.

Und so dürfte denn auch die 25. Knesset sich vorzeitig auflösen müssen, um vermutlich eher früher als später neue Parlamentswahlen ansetzen zu können. Spekulationen darüber, ob Benjamin Netanjahus jüngste Wiederkehr dann seine letzte gewesen sein wird, verbieten sich freilich. Das wurde mancherorts schon zu oft vorhergesagt. Hoffen indes darf man, die jüdische Demokratie, sie wird weiter funktionieren.

Amerikakundler

Das islamistische Regime in Teheran steckt in einer tiefen Legitimitätskrise, die sich durch die andauernden Proteste einer- und die brutalen Reaktionen der Mullahs darauf andererseits täglich verschärft. Vielleicht sind die Tage der Grünen Revolution, die inzwischen schon Schulmädchen zu Tode prügelt, die das Loblied auf sie verweigern, noch nicht gezählt, ihre Wochen sind es mit einiger Sicherheit.

Wie schlecht es um um sie tatsächlich steht, das zeigte der jüngste Auftritt Ayatollah Seyed Ali Khameneis, der sich in einer Rede vor »Studenten« ausführlich den Vereinigten Staaten, einem der »Erzfeinde«, widmete und Amerika den baldigen Zusammenbruch vorhersagte. »Eines der Anzeichen für den Niedergang Amerikas« sei »die Wahl von Leuten wie dem derzeitigen und dem ehemaligen Präsidenten«.

Mit Donald J. Trump hätten die Amerikaner einen »Verrückten« zum Präsidenten gewählt und es mit ihrer Entscheidung für Joe Biden als Amtsnachfolger nicht wesentlich besser gemacht. »Das ist ein Zeichen für den Zerfall einer Nation, das sind Zeichen für den Verfall der Zivilisation [in Amerika].« Bei seiner Analyse berief der greise »Revolutionsführer« sich allerdings ausgerechnet auf die beiden Politiker.

Hätte der eine doch erklärt, die Vereinigten Staaten stünden am Abgrund, während der andere sie bereits aus eben diesem retten wolle. Daß damit beide, Joe Biden wie Donald J. Trump, vorführen, was Demokratie ausmacht, nämlich die Fähigkeit zu einer Kritik, die das System nach durchaus widerstrebenden Vorstellungen verbessern soll, entging dem »geistlichen Oberhaupt« der Islamischen Republik freilich.

Selbstkritik dürfte dem Weltbild Ayatollah Seyed Ali Khameneis indes so fremd sein wie die Vorstellung, daß unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe gleichberechtigt diskutiert und zur Wahl gestellt werden, sich dem Urteil jener stellen müssen, über deren Leben sie schließlich bestimmen. Die Vereinigten Staaten gehen deshalb noch lange nicht unter; das islamistische Regime in Teheran aber werden sie sicher überleben.

Stabile Demokratie

Am Dienstag sind die Bürger Israels aufgerufen, über die Zusammensetzung der 25. Knesset zu bestimmen, des Parlaments in der israelischen Hauptstadt Jerusalem. Eineinhalb Jahre nach der letzten Parlamentswahl am 23. März 2021, die dem Land im Juni 2021 einen Ministerpräsidenten bescherte, der nicht Benjamin Netanjahu hieß, dreht sich freilich auch diese Abstimmung vor allem um den Likud-Politiker.

Denn es gibt in Israel noch genügend Wähler, die die Vorstellung einer wieder von Benjamin Netanjahu geführten Regierung in Jerusalem hinreichend attraktiv finden, dem konkurrierenden politischen Lager die Unterstützung zu verweigern. Zwar hat sich Benjamin Netanjahu verdient gemacht um den jüdischen Staat, gleichwohl hat er mit seiner Selbstherrlichkeit dem demokratischen System auch massiv geschadet.

Und auch bei dieser Wahl dürfte es Benjamin Netanjahu wieder vor allem darum gehen, als Premier Einfluß nehmen zu können auf das noch immer gegen ihn laufende Verfahren, in dem ihm Korruption vorgeworfen wird, und weniger um die Interessen des Landes. Davon jedenfalls, glaubwürdig für Werte stehen zu können, sind Benjamin Netanjahu und der von ihm dominierte Likud gegenwärtig weit entfernt.

Ließ der Langzeit-Premier bereits frühere Regierungen in schwierigen Situationen allein wegen der Hoffnung platzen, gestärkt aus Neuwahlen hervorgehen zu können – was ihm allerdings nicht gelingen sollte -, versuchte er als Oppositionspolitiker, der Regierung auch – und gerade – dann zu schaden, wenn er dafür angeblich »eigene« politische Überzeugungen und damit »seine« Klientel verraten mußte.

Daß die bereit scheint, Benjamin Netanjahu und dem an ihn geketteten Likud ihre taktischen »Spielereien« zu vergeben, ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Auch die derzeitige Regierungskoalition vermag offenbar nicht mehr ausreichend zu überzeugen. Ihre ohnehin knappe parlamentarische Mehrheit hat sie aus eigenem Unvermögen verspielt, immerhin hielt sie dabei jedoch vergleichsweise lang.

Und so dürfte es am Mittwoch erneut keinen strahlenden Gewinner geben, der den Wahlsieg aus eigener Kraft erringen konnte. Weil die Wähler ihren politischen Überzeugungen treu bleiben, egal, wer ihnen gerade als Spitzenkandidat vorgesetzt wird, wird das Wahlergebnis wieder ausfallen wie schon bei all den Wahlen der vergangenen Jahre, werden beide politischen Lager ähnlich viele Mandate erringen.

Überraschend – und beunruhigend – wäre allein ein anderer Wahlausgang. Und auch diese Vorhersehbarkeit, so wenig zufriedenstellend sie derweil sein mag, ist ein Merkmal einer dann doch recht stabilen Demokratie. Denn häufige Wahlen bedeuten eben auch, daß allzu große politische Umwälzungen ausfallen. So halten fragile Mehrheiten und funktionierende Institutionen politische Hitzköpfe in Schach.

Lupenreine Demokratin

Annalena Baerbock, sie fungiert als deutsche Außenministerin, hat sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Prag nach übereinstimmenden Berichten dazu geäußert, wem ihre Loyalität gilt: »Ich werde die Ukraine an die erste Stelle setzen, egal was meine deutschen Wähler denken oder ob sie demonstrieren«, werden ihre englischsprachigen Aussagen etwa auf Twitter übersetzt und zusammengefaßt.

Die Tageszeitung Die Welt gibt die von der Partei Bündnis 90/Die Grünen ins Kabinett Olaf Scholz’ geschickte Politikerin auf ihrer Website etwas ausführlicher, inhaltlich aber durchaus gleichlautend wieder: »Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ›Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht‹, dann werde ich diese Versprechen einhalten. Egal, was die deutschen Wähler denken«.

Es gibt gute Grüne, die Ukraine und die ukrainische Bevölkerung gegen die russischen Versuche zu unterstützen, das Land zu »entnazifizieren« und als Staat auszulöschen. Gleichwohl zeugt es nicht eben von politischer Klugheit, sich als deutsche Außenministerin einfach mal bedingungslos »den Menschen in der Ukraine« zu unterwerfen, zumal auch und gerade dieses Kollektiv wohl eher ein imaginäres ist.

Sagt die deutsche Ministerin sich und die Regierung, der sie angehört, prophylaktisch vom deutschen Souverän los, offenbart sie sich als ziemlich lupenreine Demokratin. Dabei sind es doch »unsere gemeinsamen weltweiten Werte, die in der Ukraine auf dem Spiel stehen«, darunter »das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, egal wo auf dieser Welt, den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«.

Wie können »die deutschen Wähler« im Gegensatz zu »den Menschen in der Ukraine« nicht zu dieser »weltweiten Gemeinsamkeit« gehören? Und, sollten sie tatsächlich einen eigenen, einen »deutschen Weg« gehen wollen, was gewiß keine Premiere wäre, weshalb sollte ihre Regierung sich dann nicht verpflichtet fühlen, dieses »Recht«, »den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«, umzusetzen?

Die arrogant-autoritäre Haltung Annalena Baerbocks ist ein Affront, den ein Bundeskanzler, hätte er Rückgrat und so etwas wie ein Gewissen, nur mit einer Entlassung beantworten könnte, zumal die deutsche Ukraine-Politik, wie andere europäische Demokratien zeigen, nicht alternativlos ist. Annalena Baerbock kann argumentativ nicht überzeugen, also beschimpft sie »die deutschen Wähler«. Sie ist damit unhaltbar.

Nachtrag: Nachdem gesagt wurde, was gesagt wurde, soll es sich bei Annalena Baerbocks zitierten Äußerungen um »Desinformation von der Stange« handeln, für die ihr Auswärtiges Amt, das sich einen Beauftragten hält für strategische Kommunikation, ein »sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts« verantwortlich macht.

Rückkehr einer Krise

Nachdem ihr eine Mehrheit in der Knesset nicht mehr sicher ist, strebt die israelische Regierung die Auflösung des Parlaments in Jerusalem und damit vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr an. Die politische Krise, von der die letzten Jahre mit von Premierminister Benjamin Netanjahu geführten Regierungen geprägt waren, ist mit einer weiteren schneller als erwartet endenden Legislaturperiode wieder da.

Werden die 120 Abgeordneten des israelischen Parlaments in der Theorie für eine Zeit von vier Jahren gewählt, müssen sich die Parteien in Israel nun wohl auf Neuwahlen im Oktober vorbereiten. Fand die letzte Parlamentswahl am 23. März 2021 statt, dürfte die 24. Knesset in der nächsten Woche nach nichtmal eineinhalb Jahren ihre Auflösung beschließen. Immerhin dafür scheint eine Mehrheit sicher.

Nachdem vor wenigen Tagen die weitere Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes, nach dem das israelische Zivilrecht auch für »Siedler« in den Außenposten Anwendung findet, gescheitert war und seither weitere Abgeordnete ankündigten, nicht mehr im Sinne der gegenwärtig von Ministerpräsident Naftali Bennett geführten Regierung votieren zu wollen, ist der Wunsch nach Neuwahlen nachvollziehbar.

Dem Regierungsbündnis in Jerusalem gehören (noch) acht Parteien an, die mit 61 Sitzen im Parlament von Anfang an über eine denkbar knappe Mehrheit verfügten. Jeder Abgeordnete, der – aus welchen Gründen auch immer – »seiner« Regierung die Stimme verweigert, konnte damit eine Koalitions- und Regierungskrise auslösen. Vielleicht ist es daher bemerkenswert, daß das Bündnis immerhin über ein Jahr hielt.

Letztlich scheiterte die amtierende Regierung freilich nicht wirklich an der Uneinigkeit in den »eigenen« Reihen, sondern an einer Opposition, die in einer wichtigen Abstimmung ausdrücklich gegen die eigenen politischen Überzeugungen stimmte. Das Gesetz, das nun Ende Juni ausläuft, wurde zuvor alle fünf Jahre von einer Mehrheit der Abgeordneten der Knesset als eine Selbstverständlichkeit verlängert.

Zuletzt entschied sich die von Benjamin Netanjahu geführte konservative Opposition aber dagegen, um Premier Naftali Bennet vorzuführen. Daß sie damit riskierte, ausgerechnet die »Siedler«, als deren Vertretung sie sich fühlt, in weitreichende rechtliche Unsicherheiten zu stürzen, sollten die nicht vergessen – falls sie im Oktober überhaupt noch als Wähler an dem bevorstehenden Urnengang teilnehmen dürfen.

Antiisraelischer Konsens

Führten Sympathisanten der islamistischen Terrororganisation Hamas bereits während des Ramadan auf dem Tempelberg in Jerusalem nahezu ohne Pause vor, daß die größten Feinde islamischer »heiliger« Stätten in der israelischen Hauptstadt deren selbsterklärte »Verteidiger« sind, mißbrauchten am Freitag erneut gewalttätige »Palästinenser« die Beisetzung Shireen Abu Aklehs für Ausschreitungen.

Nutzen »palästinensische« Terrororganisationen und andere Feinde Israels den Tod der Journalistin am vergangenen Mittwoch für wüste Angriffe auf den jüdischen Staat, setzten sie sie in der kaum verborgenen Absicht, propagandistisch ausbeutbare Bilder zu produzieren, mit ihren gewalttätigen Attacken auf friedlich Trauernde und Sicherheitskräfte nur konsequent und – leider – nicht ohne Erfolg fort.

Gibt es bislang keinerlei Belege für ein Fehlverhalten israelischer Streitkräfte, dafür aber jede Menge neuerlicher ungehemmter Verleumdungen Israels, steht Jerusalem für seine Versuche, eine friedliche und würdevolle Beisetzung der getöteten Journalistin zu ermöglichen, weiter am Pranger, während »palästinensische« Terroristen und ihr »zivilgesellschaftliches« Umfeld sich als »Opfer« inszenieren.

Die Europäische Union wirft israelischen Sicherheitskräften »rücksichtsloses Verhalten« vor und erklärt, sie sei »entsetzt« vom Einsatz angeblich »unangemessener Gewalt« durch israelische Sicherheitskräfte. Doch auch das Weiße Haus legitimiert mit seiner »tiefen Bestürzung« den Mob und bestärkt ihn, statt Israel und damit die einzige funktionierende Demokratie in der ganzen Region zu unterstützen.

Münchener Freiheit

»In einem klaren Augenblick merkte Winston, dass er genauso brüllte wie die anderen und mit der Ferse heftig gegen sein Stuhlbein schlug. Das Schreckliche an den ZweiMinutenHass war nicht, dass man dabei eine Rolle spielen musste, sondern dass es unmöglich war, nicht mitgerissen zu werden. Spätestens nach dreißig Sekunden war jede gespielte Erregung unnötig.« (*)

Während in Moskau und zahlreichen weiteren russischen Städten Menschen mit Repressionen rechnen müssen, äußern sie sich ablehnend über die Politik »ihres« Präsidenten, feuert die bayerische Landeshauptstadt den Chefdirigenten ihrer Münchner Philharmoniker, weil der sich – trotz öffentlicher Aufforderung dazu – jedes öffentlichen Kommentars zum russischen Krieg gegen die Ukraine enthält.

Weil er sich »trotz meiner Aufforderung, ›sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt‹, nicht geäußert« habe, hat der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, den russische Musiker Valery Gergiev als Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker gefeuert.

Und damit auch niemand fragt, welchen Verbrechens sich Valery Gergiev schuldig gemacht hat, gab Katrin Habenschaden, die Zweite Bürgermeisterin der bayerischen Haupstadt, zu Protokoll: »Man kann gar nicht anders, als Gergievs Schweigen als Zustimmung zum Krieg seines Freundes Putin zu verstehen«. In der Tat, Valery Gergiev hat nichts gesagt. Er hat trotz eines erpresserischen Ultimatums geschwiegen.

Valery Gergiev hat den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht begrüßt, er hat ihn nicht verurteilt, er hat keine Meinung dazu geäußert, sich enthalten. Für Katrin Habenschaden reicht das, ihm die Unterstützung Wladimir Putins zu unterstellen, für Dieter Reiter, dem nunmehr Ex-Chefdirigenten zu kündigen. Die Münchener Freiheit ist etwas, vor dessen Vorbildwirkung Wladimir Putin et al. sich fürchten sollten.

(*) George Orwell: 1984, München 2021.

Verfallserscheinungen

Vor wenigen Wochen, am 29. Juni, fragte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder seinen Vize Hubert Aiwanger bei einer Pressekonferenz, weshalb er sich nicht habe gegen das Covid-19-Virus impfen lassen. Der so öffentlich Vorgeführte erwiderte, die Entscheidung darüber sei eine persönliche, »und die lautet eben, daß ich mich bisher nicht dazu entscheiden konnte, mich impfen zu lassen«.

Wollte Hubert Aiwanger nicht ausschließen, sich zu einem späteren Zeitpunkt immunisieren zu lassen, ist einen Monat später nicht der übergriffige Parteivorsitzende der CSU und Ministerpräsident Gegenstand breiter öffentlicher Aufregung, sondern, nachdem er seine Haltung bekräftigt hat, Hubert Aiwanger. Die Empörung hat Züge angenommen, die einer bürgerlichen Demokratie unwürdig sind.

Wird mancherorts dem Politiker »Verantwortungslosigkeit« vorgeworfen, wird anderswo bereits gefragt, ob seine Partei, die Freien Wähler, noch koalitionsfähig sei. Dabei hat Hubert Aiwanger tatsächlich nur ein paar Sätze gesagt, die jedenfalls in einer freiheitlich-demokratisch verfaßten Gesellschaft, die keine allgemeine Pflicht zu einer Covid-19-Impfung kennt, einfach nur Banalitäten betonen.

Gewiß, es gibt viele gute Gründe, sich für eine Immunisierung zu entscheiden: Auch wenn die Immunisierung »nur« einen schweren Krankheitsverlauf weniger wahrscheinlich macht, spricht das ja nicht wirklich gegen sie. Gleichwohl kann auch die Impfung mit Risiken verbunden sein – nicht ganz zu Unrecht steht vor jeder Impfung ein Gespräch mit einem Arzt, das nicht bloß eine Formalität ist.

Und wenn es keine Impfpflicht gibt, muß spätestens danach jedem erwachsenen Menschen zugebilligt werden, sich für oder gegen die Immunisierung zu entscheiden. So wenig Menschen sich rechtfertigen müssen, die sich impfen lassen oder dies wollen, sollten sich die erklären müssen, die das (noch) nicht tun. Schon gar nicht sollte jemand seiner Entscheidung wegen öffentlich angeprangert werden.

Freilich, in Zeiten, in denen selbst ein US-Präsident unhinterfragt den Millionen verunglimpfenden Verdacht streuen kann, »ungeimpfte Personen verbreiten das Virus«, ist die deutsche Hexenjagd auf Hubert Aiwanger wohl auch nur Ausdruck einer »neuen Normalität«. Mit demokratischen Zuständen, wie sie noch vor nicht langer Zeit selbstverständlich schienen, hat ein solches Klima aber nur wenig gemein.

Stilfrage

Mit 60 Stimmen und damit mit einer beinahe kaum so zu nennenden Mehrheit von einer Stimme haben die Abgeordneten der Knesset in der israelischen Hauptstadt Jerusalem am Sonntag Naftali Bennett zum neuen Premier des jüdischen Staates gewählt und den Amtsinhaber Benjamin Netanjahu in die Opposition geschickt: Israel hat eine neue, seine 36. Regierung, die eine des Wandels sein will.

Der bisherige Regierungschef, er war 12 Jahre ununterbrochen im Amt, und einige lautstarke Anhänger zeigten zu seinem Abwahl noch einmal herzlich wenig Respekt vor der demokratischen Entscheidung der Parlamentarier und der Würde des Plenums, nicht eben überzeugend schienen aber auch die ausgelassenen Feiern, mit denen Tausende etwa in Tel Aviv einen »Sieg« begehen zu können glaubten.

Mit der Vereidigung Naftali Bennetts als Ministerpräsident geht weder, wie die einen glauben mögen, Israel unter noch endet mit der Ablösung Benjamin Netanjahus ein besonders finsteres Kapitel in der Geschichte des 1948 wiedergegründeten jüdischen Staates. Wer den Amtswechsel feiern will, mag den feiern, man sollte sich auch dabei jedoch hüten, Benjamin Netanjahu negativ zu überhöhen.

Der Likud-Politiker ist nämlich kein blutsaufender Despot, der »sein« Land und »seine« Untertanen auspreßt(e) und es darüber ruiniert(e), sondern bei all seinen Fehlern eben auch ein sehr guter und erfolgreicher Regierungschef gewesen. Die vergangenen mehr als 12 Jahre, die Benjamin Netanjahu als Premier und in weiteren Ämtern ganz wesentlich prägte, waren gewiß nicht Israels schlechteste.

Und nicht unverdient ist Benjamin Netanjahu deshalb nach wie vor einer der beliebteren Politiker in Israel, vielleicht gar der beliebteste, nimmt man seine Wahlergebnisse zum Maßstab. Selbst unter arabischen Wählern war er bei der letzten Parlamentswahl Ende März deutlich erfolgreicher als jeder beliebige andere Spitzenkandidat. Und auch dieses Ansehen hat Benjamin Netanjahu sehr wohl verdient.

Freude über den Regierungswechsel ist deshalb nicht unangemessen, gleichwohl sollte sie maßvoll sein. Zeigen der nunmehr ehemalige Premier und seine Anhänger wenig Stil, wenig Respekt vor demokratischen Entscheidungen, sollte man doch nicht versuchen, sie aus Erleichterung über den Regierungswechsel mit Geschmacklosigkeiten zu übertreffen. Ein Peinlichkeitswettbewerb ist überflüssig.

Störversuche

In wenigen Stunden könnte Israel eine neue Regierung haben – oder vor einer weiteren vorgezogenen Parlamentswahl stehen. Bis zuletzt halten die Bemühungen des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seiner Parteifreunde um die Stimmen von Abgeordneten der »Koalition des Wechsels« an, die mit ihrem abweichenden Votum den Regierungswechsel noch abwenden könnten.

Es fällt leider durchaus schwer, in diesem Verhalten etwas anderes zu sehen als billige Sabotageversuche. Es ist nachvollziehbar, daß die neue Koalition nicht auf ungeteilten Beifall stößt, schon gar nicht von Benjamin Netanjahu mit Applaus bedacht wird. Für einen Premier, der die letzten 12 Jahre ununterbrochen im Amt und dort einigermaßen erfolgreich war, sind diese Versuche schlicht würdelos.

Während – laufen die Störversuche des Amtsinhabers ins Leere – sein Nachfolger Naftali Bennett in seiner Antrittsrede die Amtszeit Benjamin Netanjahus mit dem in der Tat ja wohlverdienten Respekt würdigen dürfte, läßt ausgerechnet der Likudpolitiker die Selbstachtung vermissen. Er scheint nicht mit seinen Verdiensten in Erinnerung bleiben zu wollen, sondern mit seinem niveaulosen Abgang.

Wie tief gesunken der amtierende Premier und seine Partei oder wenigstens Teile des Likud sind, wie sehr das politische Klima in Israel unter ihrem Handeln in den letzten Monaten gelitten hat, davon zeugte zuletzt ihre Zusage, einen gewaltlosen Machtwechsel gewährleisten zu wollen. Es ist traurig, daß man hoffen muß, sie halten sich an eigentlich selbstverständliche demokratische Spielregeln.