Schlagwort: Sachsen

Irrweg

Im Stadtrat der sächsischen Metropole Leipzig wird seit Anfang November ein von den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der CDU sowie der SPD eingebrachter Beschlußvorschlag debattiert, mit dem sich die Stadt »gegen jeden Antisemitismus« positionieren würde. In der Beschlußvorlage werden auch israelbezogener Antisemitismus verurteilt und die antisemitische BDS-Bewegung.

Eine Fraktion im Leipziger Stadtrat, die der »Freibeuter«, ist nicht zufrieden mit dem Antrag. Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten), René Hobusch (FDP) und Sven Morlok (FDP) wollen dessen Bekenntnis zum Existenzrecht Israels durch den Satz ersetzen: »Leipzig bekennt sich zum Existenzrecht Israels und zum Recht des palästinensischen Volkes auf einen unabhängigen Staat Palästina«.

Weshalb die drei »Freibeuter« sich so für »Palästina« einsetzen, behalten sie bislang für sich, aufklären wollen sie darüber, wenn der Stadtrat über den Beschlußvorschlag diskutiert. Ihre Ergänzung scheint im Kontext eines Antrags zum Vorgehen gegen Antisemitismus jedenfalls wenig sinnvoll: Ein Bekenntnis zu einem »unabhängigen Palästina« würde das Problem vielmehr verharmlosen.

Wer glaubt, durch die Etablierung eines »palästinensischen« Staates Antisemitismus aus der Welt schaffen zu können, irrt. Und so, wie sich die PLO, die die Marke »Palästina« für sich beansprucht, gibt, würde ein tatsächlich zu einem Staat gewordenes »Palästina« den weltweiten Antisemitismus noch ansteigen lassen. Antisemitismus zielt auf Juden, weil sie Juden sind, und den jüdischen Staat.

Ob es ein »Palästina« gibt oder nicht, ist Antisemiten letztlich doch herzlich gleichgültig. Geben sie sich besorgt um »Palästinenser« oder »Palästina«, tarnen sie damit nur ihren Haß, der sich eben um Juden dreht oder Israel. Mit ihrem seltsamen Vorschlag, die Bekämpfung von Antisemitismus mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zu »Palästina« zu verbinden, sind »Freibeuter« auf dem Holzweg.

Nachtrag: Naomi-Pia Witte (FDP), viertes Mitglied der »Freibeuter«-Fraktion, trägt den Ergänzungsantrag ihrer Kollegen nicht mit, der daher auch keiner der Fraktion ist.

Die rechte Gesinnung

Der Umgang der deutschen Regierungschefin Angela Merkel mit dem, was vor kurzem in Chemnitz geschehen ist oder auch nicht, könnte peinlicher kaum sein. Rang die Christdemokratin zu lange um Worte, als Bilder pöbelnder Nazis und deren Mitläufer schon weltweit Schlagzeilen machten, wird sie jetzt von ihrem blamablen Innenminister und dessen obersten Verfassungsschützer vorgeführt.

Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen widersprechen der deutschen Kanzlerin öffentlich und unerstellen ihr mindestens indirekt, Lügen zu verbreiten, ohne freilich selbst Belege für ihre Behauptungen vorlegen zu können. Ganz unabhängig darum, worüber Uneinigkeit herrscht, ist das Verhalten des Bayern und des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz schlicht inakzeptabel.

Doch auch inhaltlich sind Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen, die mit ihren wenig fundierten Einlassungen den Eindruck erwecken, rechten Extremismus und dessen Selbstverständlichkeit in Teilen Deutschlands zu verharmlosen, untragbar, zumal in die von ihnen befeuerte Debatte um die Authentizität durch Zeugenaussagen bestätigter Videos nun noch eine brisante Nachricht platzte.

Danach sollen »besorgte Bürger« am 27. August das koschere Restaurant »Schalom« attackiert haben. Vermummte sollen das Restaurant mit Flaschen, Steinen und einem Stahlrohr beworfen und dabei skandiert haben, »hau ab aus Deutschland, du Judensau«. Schon zuvor war über antisemitische »Gesänge« von Teilnehmern einer als »Trauermarsch« camouflierten »Demonstration« zu lesen.

Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen absurd, darüber zu diskutieren, ob eine auf Video dokumentierte »Hetzjagd« als solche bezeichnet werden könne. Wer hier spitzfindig über die richtige Formulierung streitet, will offenkundig ablenken vom Gesamtbild: In Chemnitz »demonstrierten« nicht nur ein paar Nazis und blieben unter sich. Viele, zu viele »normale« Menschen machten mit.

Die von solchen Entwicklungen ausgehenden Gefahren sollten einen Innen-, der auch ein Verfassungsminister ist, und den Leier einer Behörde, deren Auftrag doch ausdrücklich der Schutz der Verfassung ist, umtreiben, nicht die Frage, wie sie am besten zu verharmlosen und zu leugnen sind. Und eine Kanzlerin sollte sich von Personal trennen, daß so seine Gesinnung unter Beweis stellt.

Richtiger Fokus

Mit dem auch und gerade im Osten Deutschlands zunehmenden Antisemitismus beschäftigte sich am Donnerstag ein gemeinsam vom Moses Mendelssohn Zentrum und der F. C. Flick Stiftung in Potsdam veranstalteter Workshop, an dem über 40 Wissenschaftler, Vertreter ostdeutscher jüdischer Gemeinden sowie Repräsentanten verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen teilnahmen.

Wie Julius Schoeps, der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrum, erklärte, seien die Teilnehmer »alle irritiert über die Zunahme antisemitischer Vorfälle«. Seien antisemitische Einstellungen zwar in allen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten, habe besonders die Alternative für Deutschland (AfD) im Osten »Schleusen des Hasses bewusst geöffnet«, ergänzte der Experte Gideon Botsch.

Die Partei, die etwa in Sachsen anstrebt, als stärkste Partei aus den Landtagswahlen im nächsten Jahr hervorzugehen, müsse in den »neuen Ländern« als rechtsextrem charakterisiert werden. Damit setzten die Teilnehmer der Veranstaltung sich auf erfreuliche Weise von dieser Partei, aber auch anderen Politikern ab, die Antisemitismus vor allem als ein »importiertes« Problem ansehen wollen.

So konnte sich auch der Deutsche Bundestag erst im Januar dazu durchringen, mit seiner Forderung nach einem Beauftragten für die Bekämpfung des Antisemitismus eine schon lange vorliegende Empfehlung eines von ihm beauftragten Expertengremiums aufzugreifen, nachdem zuvor antisemitische Aufmärsche mit überwiegend Teilnehmern mit Migrationshintergrund für Aufsehen sorgten.

Autochthoner Antisemitismus dagegen wird oft verharmlost oder geleugnet, wie exemplarisch der Umgang einer »alternativen« Website mit dem Phänomen belegt: Während eine Schülerin, die sich gegen Anitsemitismus unter ihren deutschen Mitschülern engagiert, als »Denunziantin« diffamiert wird, skandalisiert die gleiche Website nahezu begeistert jeden Fall migrantischen Antisemitismus’.

Der Workshop in Potsdam setzte ein Zeichen gegen solche double standards, die den Kampf gegen Antisemitismus be- oder gar verhindern. In Deutschland ist Antisemitismus vor allem deutsch. Und weil sich daran so bald nichts ändern dürfte, wird die Veranstaltung vom vergangenen Donnerstag nicht das letzte seiner Art bleiben können. Die Fortsetzung des Workshops ist bereits geplant.

Falsches Gedenken

Der Deutschlandfunk nachrichtet aus Sachsen: »Dresden erinnert heute an die Opfer des Zweiten Weltkrieges«. Das Erinnern findet, so ist zu hören, in Form einer »Menschenkette rund um die Altstadt« statt, mit der »ein Zeichen für Frieden, Demokratie und Menschenrechte« gesetzt werden soll. Jener »Zweite Weltkrieg« allerdings, an den da erinnert werden wird, war erstaunlich kurz:

»Bei den Bombardierungen durch die Alliierten am 13. und 14. Februar 1945 starben laut Schätzungen von Historikern etwa 25.000 Menschen. Nahezu die gesamte Innenstadt wurde zerstört.«

Während außerhalb des Tals der Ahnungslosen angenommen wird, der Zweite Weltkrieg sei ein von Deutschen organisierter Vernichtungskrieg gewesen, der ihnen nicht zuletzt die Vernichtung des europäischen Judentums ermöglichen sollte, daß dieser Krieg 55 Millionen Menschenleben forderte, darunter 6,3 Millionen Deutsche, gab es in der Dresdener Erzählung offenbar nur deutsche Opfer.

Es ist diese für Dresden so typische spezielle Wahrnehmung des Zweiten Weltkriegs, die dieses Erinnern so abstoßend macht. Es wird eben nicht »an die Opfer des Zweiten Weltkriegs« erinnert, sondern ein Opfermythos gepflegt, der sich bis auf begriffliche Nuancen kaum vom Narrativ der Extremisten unterscheidet, die sich anschicken, zur politisch dominierenden Kraft in Sachsen zu werden.

Einer, der die Barbarei der Deutschen leider nicht überlebte, notierte beim Anblick alliierter Bomber: »Was für ein Wunder an Form und Geschwindigkeit! Was für ein sonores Brummen in der Luft! Musik! Musik! Makabre Musik, Totenmarsch, aber Musik! Musik für fiebrig erhitzte Geister, Trost für die gequälten, gefolterten Seelen.« Das Dresdener Erinnern war und ist ein falsches.