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#rückwärts

In der deutschen Hauptstadt Berlin haben am Sonnabend zahlreiche Menschen an einer Demonstration teilgenommen, deren Organisatoren vorgaben, »für eine offene und freie Gesellschaft« einzutreten. Tatsächlich waren sie so frei, Kritik zu ignorieren oder zu diffamieren, und offen für Organisationen, die kaum für unteilbare Menschenrechte und selbstbestimmte Lebensentwürfe stehen.

Wo sie »eine dramatische politische Verschiebung« diagnostizieren, die »Rassismus und Menschenverachtung [..] gesellschaftsfähig« machten, öffneten Organisatoren und Teilnehmer des #unteilbar-Aufmarschs ihre toleranten Herzen beispielsweise für den Zentralrat der Muslime in Deutschland, dessen Versitzender Aiman Mazyek einer der Hauptredner der Kundgebung zur Demonstration war.

Mitgliedsorganisationen des ZMD werden von deutschen Verfassungsschützern islamistische Bestrebungen bescheinigt und Verbindungen zur berüchtigten Muslimbruderschaft nachgesagt, eine andere soll in Deutschland die türkisch-nationalistischen Vorstellungen der rechtsextremen Grauen Wölfe vertreten. Doch auch der ZMD selbst kann kaum für Freiheit und Menschenwürde stehen.

Für ihn nämlich ist das islamische Kopftuch »ein normales Glaubensmerkmal«. Musliminnen kann es danach nur mit Kopftuch geben. Gläubige, die sich gegen das Tragen des Kopftuchs entscheiden, werden so unter Druck gesetzt, stigmatisiert und ausgegrenzt. Zugleich ist das islamische Kopftuch aber auch in der Gesamtgesellschaft ein unübersehbares Symbol für Ausgrenzung und Entrechtung.

In jedem Fall beraubt es seine Trägerinnen nach außen ihrer Individualität, ihrer Persönlichkeit und vermittelt so ein Frauenbild, das kaum mit den Vorstellungen des Grundgesetzes von Menschenwürde und der Gleichwertigkeit der Geschlechter vereinbar scheint. Auf dem #unteilbar-Aufmarsch wurden verhüllte Mädchen geduldet, die sich kaum aus freien Stücken dafür entschieden haben.

Organisatoren und Teilnehmer demonstrierten so ein ausgesprochen seltsames Verständnis von einer »offenen und freien Gesellschaft«. Viele mögen es gut gemeint haben, doch sie haben sich de facto als nützliche Idioten von Umschwungsbestrebungen ebenso ge- wie mißbrauchen lassen, die kaum in ihrem Sinn sein dürften. #unteilbar steht für gesellschaftlichen Rück-, nicht für Fortschritt.

Sicherer Hafen

Auch in der Deutschen Hauptstadt Berlin konnten sich am Sonnabend zahlreiche Anhänger des Regimes in Teheran zusammenrotten, ihren Haß auf Israel und das Judentum kundzutun. Nach Medienangaben verlief der Aufmarsch »weitgehend friedlich« oder »friedlich«, was freilich die Frage aufwirft, was am Antisemitismus eigentlich »friedlich« ist. Denn um einen von Antisemitismus geprägten Aufmarsch handelte es sich.

Weder die Veranstalter, von denen man derlei allerdings auch nicht erwarten konnte, noch Sicherheitskräfte, die die »Demonstration« begleiteten, störten sich offenbar an der von den Teilnehmern massiv verbreiteten Hetze, die – einer Auflage folgend – in deutscher Sprache vorgetragen wurde, sofern Worte überhaupt notwendig waren. So wurde etwa ein Plakat gezeigt, das die Vereinigten Staaten als Marionette Zions darstellte.

Und natürlich fehlten auch Gleichsetzungen Israels mit dem Nationalsozialismus nicht: Mindestens eine Teilnehmerin, die es damit bis ins Fernsehen schaffte, forderte mit einem Schildchen, »hört auf den Palästinensern das anzutun, was euch angetan wurde! [sic!]« – Holocaustleugnung light. Fast schon Folklore waren daneben die allfälligen Aufrufe zum Boykott Israels, die die extremistische BDS-Bewegung unterstützten.

Antisemitismus, versichern deutsche Regierung und Politiker gern in ihren Sonntagsreden, habe keinen Platz in Deutschland. Und doch führte der Al-Quds-Aufmarsch auch 2018 vor, daß der Haß auf Juden mindestens geduldet wird. Zwar wurde versucht, die erwartbare Hetze durch Auflagen zu »entschärfen«, die Deutschpflicht machte aber erst recht deutlich, was sich am Sonnabend versammelte, um durch Berlin zu ziehen.

An Warnungen hatte es dabei nicht gemangelt. Zuletzt hatte beispielsweise das Simon Wiesenthal Center den Regierenden Bürgermeister Berlins aufgefordert, den Aufmarsch zu untersagen. Doch wie schon in den Vorjahren versagte die Politik dabei, ihren Versprechen Taten folgen zu lassen. Und so ging denn auch von Berlin das Signal aus, daß Antisemitismus Platz hat in Deutschland. Er muß nur »weitgehend friedlich« bleiben.

Flucht aus der Verantwortung

Nach neuen antisemitischen Vorfällen in Berlin wird in der deutschen Hauptstadt über einen Beauftragten für die Bekämpfung von Judenhaß diskutiert. Nachdem ein junge Gast der Stadt aus Israel antisemitisch beleidigt und mit einem Gürtel attackiert worden war, hatte Raed Saleh, der Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, die Berufung eines solchen Beauftragten vorgeschlagen.

Der Sozialdemokrat griff damit einen Vorschlag der im Bundesland Berlin oppositionellen CDU auf, den auch seine Partei noch vor einem Jahr abgelehnt hatte. Vertreter der anderen Berliner Regierungsparteien äußerten sich nach Raed Salehs Vorschlag denn auch weiter skeptisch. Bettina Jarasch warnte für Bündnis 90/Die Grünen vor der Errichtung von, wie sie sagte, »Doppelstrukturen«.

Und auch Udo Wolf, der der Fraktion der Partei Die Linke, im Parlament der Stadt vorsitzt, gab sich ablehnend. Mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus sowie dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus existierten in Berlin bereits angesehene Institutionen, Symbolpolitik werde nicht gebraucht. Besonders originell aber klingt der Einspruch der Liberalen.

Für die Oppositionspartei gab Marcel Luthe zu Protokoll, die Stadt könne zwar für die Finanzierung sorgen, aber »ein solcher Beauftragter gehört zur Jüdischen Gemeinde«. Denn mit Antisemitismus hat die nichtjüdische Bevölkerung nichts zu schaffen? Vielleicht wäre ein Berliner Beauftragter für die Bekämpfung von Antisemitismus eine »Doppelstruktur«, vielleicht auch nur ein »Symbol«.

Daß aber ein Politiker dafür plädiert, das Problem zu einem allein der Opfer zu machen, verwundert doch. Antisemitismus ist ein Phänomen, das sinnigerweise vor allem dort diagnostiziert, angeprangert und bekämpft werden sollte, wo es verbreitet ist: und das sind in aller Regel nicht jüdische Gemeinden. Wer ihnen die Bekämpfung des Antisemitismus überlassen will, will sich feige drücken.