Schlagwort: Horst Seehofer

Überfällig

Lange Jahre weigerte sich die Regierung in Berlin, gegen die islamistische Terrororganisation Hisbollah vorzugehen. Mit Verweis auf die Europäische Union – in deren Rahmen Deutschland jedoch ebenfalls nicht eben vorpreschen wollte – sah sich Berlin nicht zuständig, unter Hinweis auf die Regierungsbeteiligung der Islamisten im Libanon wurde ein Verbot auf nationaler Ebene abgelehnt.

Am Donnerstag nun hat Innenminister Horst Seehofer eine Kehrtwende vollzogen und der »Partei Gottes« mit sofortiger Wirkung jede Betätigung in Deutschland verboten. »In den frühen Morgenstunden durchsuchten Polizeibeamte in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bremen mehrere Moschee- und Kulturvereine, die der Hisbollah nahestehen sollen«, meldet die tagesschau auf ihrer Website.

Das Verbot der Hisbollah wird mit deren Terrorpropaganda begründet und ihrem Bekenntnis zum Ziel der Vernichtung Israels. »Damit«, heißt es beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat »richtet sich die Organisation in elementarer Weise gegen den Gedanken der Völkerverständigung – unabhängig davon, ob sie als politische, soziale oder militärische Struktur in Erscheinung tritt«.

Weil diese Erkenntnisse freilich alles andere als neu sind, deutsche und internationale Nachrichtendienste warnen ja auch nicht erst seit gestern vor den Aktivitäten der von Hassan Nasrallah geführten Islamisten in Deutschland, ihrer bisher wohl größten Rückzugsbasis in Europa, kann man der deutschen Regierung kaum zu ihrer jetzigen Entscheidung gratulieren – sie war längst überfällig.

Es drängen sich vielmehr Fragen danach auf, weshalb der Schritt erst jetzt vollzogen wurde. Bedurfte es wirklich erst eines Bundestagsbeschlusses im vergangenen Dezember, um ein Umdenken in der deutschen Regierung auszulösen? Ist die Lage im Libanon inzwischen weniger »komplex«, so daß sich auch das Auswärtige Amt Heiko Maas‘ mit dem Schritt einverstanden erklären konnte?

Gespannt darf man aber auch auf eine Stellungnahme Omid Nouripours sein, der für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sitzt und als außenpolitisches Talent gilt. »Was hier gefordert wird, erstickt die innerschiitische Opposition gegen die Hisbollah, und das können wir nicht zulassen«, kommentierte er vor einem Jahr, als im Bundestag die AfD beantragt hatte, die »Partei Gottes« zu verbieten.

»Eigenartig«

Am 9. Oktober versuchte ein deutscher Rechtsextremist, gewaltsam in die Synagoge in Halle einzudringen und ein Massaker unter den dort versammelten Juden anzurichten. Als dem Angreifer dies nicht gelang, ermordete er zwei Passanten und verletzte zwei weitere Menschen. Eine Woche später war der Anschlag Thema im Deutschen Bundestag, wo Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte:

»Es ist eigenartig, aber es war so: Ich hatte exakt für den Tag des Anschlages zu einer Antisemitismuskonferenz in meinem Hause eingeladen. Sie musste natürlich abgesagt werden [..].«

Gilt das im Plenum des deutschen Parlaments gesprochene Wort – und nicht das auf der Website des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat veröffentlichte -, so hatte der deutsche Innenminister zu Beratungen über Antisemitismus geladen, die an Yom Kippur stattfinden sollten, dem höchsten Feiertag des Judentums, der von Juden als strenger Ruhe- und Fastentag begangen wird.

Gilt das Wort des Ministers vor den Abgeordneten des deutschen Parlaments hingegen weniger als das auf der Website seines Ministeriums, drängen sich ebenfalls Fragen auf: Weshalb verlegt Horst Seehofer die abgesagte Konferenz noch nachträglich um einen Tag vor auf Yom Kippur? Wußte er vorher nicht, was dieser Tag für Juden bedeutet, nach »Halle« mußte er eine Ahnung davon haben.

Dann allerdings wäre die Terminierung einer Konferenz über Antisemitismus auf den Versöhnungstag nicht eben glücklich. Denn Juden als Opfern des Antisemitismus wird so deutlich gemacht, daß gerade sie nicht eben erwünscht sind als mögliche Teilnehmer einer Konferenz über ihre Lebensumstände in Deutschland. Recht hat er deshalb, der Horst Seehofer: Es ist eigenartig, aber es ist so.

Verliebte Jungs

Am vergangenen Freitag zogen etwa 100 – manche Quellen sprechen von bis zu 300 – Rechtsextremisten durch Dortmund, um lautstark einen »nationalen Sozialismus« zu fordern. Die lokale Polizei, die nach eigenen Angaben allenfalls zu Dokumentationszwecken vor Ort war, schritt nicht ein, als die Nazis bekundeten, »wer Deutschland liebt, ist Antisemit«, wie Videoaufnahmen belegen.

Gespenstischer aber noch als der Aufmarsch der Anhänger von »Volk, Rasse und Nation« war die Reaktion der Politik. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hüllte sich in Schweigen, während das Innenministerium in Berlin auf Nachfrage des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck auf Twitter mit Verweisen auf ältere Aussagen von Minister Horst Seehofer (CSU) antwortete.

In einer der zur Lektüre empfohlenen Pressemitteilungen feiert sich das von dem bayerischen Unionspolitiker geführte Ministerium sinnigerweise für Zuwendungen an den Zentralrat der Juden in Deutschland, mit denen ausdrücklich dessen »Engagement gegen Antisemitismus« gestärkt werden solle. Das erklärt vielleicht, weshalb sich niemand zu einer aktuellen Stellungnahme aufraffen mochte.

Offen gezeigter Antisemitismus ist, scheint’s, höchstens dann ein Thema für Landes- oder Bundespolitiker, läßt er sich gegen Migranten instrumentalisieren. Ansonsten ist der Antisemitismus Sache der Juden, die man dafür ja schließlich bezahlt. Beinahe muß man den Patrioten von Dortmund dankbar sein: Ihr Aufmarsch hat die Sonntagsreden der Politik als das Geschwätz entlarvt, das sie sind.

Die rechte Gesinnung

Der Umgang der deutschen Regierungschefin Angela Merkel mit dem, was vor kurzem in Chemnitz geschehen ist oder auch nicht, könnte peinlicher kaum sein. Rang die Christdemokratin zu lange um Worte, als Bilder pöbelnder Nazis und deren Mitläufer schon weltweit Schlagzeilen machten, wird sie jetzt von ihrem blamablen Innenminister und dessen obersten Verfassungsschützer vorgeführt.

Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen widersprechen der deutschen Kanzlerin öffentlich und unerstellen ihr mindestens indirekt, Lügen zu verbreiten, ohne freilich selbst Belege für ihre Behauptungen vorlegen zu können. Ganz unabhängig darum, worüber Uneinigkeit herrscht, ist das Verhalten des Bayern und des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz schlicht inakzeptabel.

Doch auch inhaltlich sind Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen, die mit ihren wenig fundierten Einlassungen den Eindruck erwecken, rechten Extremismus und dessen Selbstverständlichkeit in Teilen Deutschlands zu verharmlosen, untragbar, zumal in die von ihnen befeuerte Debatte um die Authentizität durch Zeugenaussagen bestätigter Videos nun noch eine brisante Nachricht platzte.

Danach sollen »besorgte Bürger« am 27. August das koschere Restaurant »Schalom« attackiert haben. Vermummte sollen das Restaurant mit Flaschen, Steinen und einem Stahlrohr beworfen und dabei skandiert haben, »hau ab aus Deutschland, du Judensau«. Schon zuvor war über antisemitische »Gesänge« von Teilnehmern einer als »Trauermarsch« camouflierten »Demonstration« zu lesen.

Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen absurd, darüber zu diskutieren, ob eine auf Video dokumentierte »Hetzjagd« als solche bezeichnet werden könne. Wer hier spitzfindig über die richtige Formulierung streitet, will offenkundig ablenken vom Gesamtbild: In Chemnitz »demonstrierten« nicht nur ein paar Nazis und blieben unter sich. Viele, zu viele »normale« Menschen machten mit.

Die von solchen Entwicklungen ausgehenden Gefahren sollten einen Innen-, der auch ein Verfassungsminister ist, und den Leier einer Behörde, deren Auftrag doch ausdrücklich der Schutz der Verfassung ist, umtreiben, nicht die Frage, wie sie am besten zu verharmlosen und zu leugnen sind. Und eine Kanzlerin sollte sich von Personal trennen, daß so seine Gesinnung unter Beweis stellt.