Schlagwort: Taliban

Falsche Hilfsbereitschaft

Nach der schmählichen Flucht ihrer Armeen vor den islamistischen Taliban vor drei Wochen haben es insbesondere die Staaten der NATO eilig, sich mit Hilfszusagen als großzügige humanitäre Unterstützer Afghanistans zu profilieren. Bei einer Geberkonferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen versprach allein Deutschland 100 Millionen Euro und stellte weitere 500 Millionen Euro in Aussicht.

Kaum hat man Afghanistan der islamistischen Barbarei überlassen, versucht der Westen – ganz vorn mit dabei natürlich Berlin – mit großzügigen Zuwendungszusagen über seinen Verrat an 38 Millionen Menschen hinwegzutäuschen, den er damit begangen hat. Mit Zusagen über insgesamt 1,2 Milliarden Dollar kam auf der Geberkonferenz sogar eine Summe zusammen, die den Bedarf weit übersteigt.

Und es scheint dabei noch nicht einmal zu stören, daß »die Geberstaaten ihre humanitäre Unterstützung nicht an Bedingungen« knüpfen wollen. Selbst ein als möglicher Nachfolger Heiko Maas’ im Amt des deutschen Außenministers gehandelter Oppositionspolitiker rechtfertige die Bedingungslosigkeit der angekündigten Unterstützung ausdrücklich, solle sie doch nur Grundbedürfnisse decken helfen.

Denn das Land soll nur wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Taliban vor einem völligen Zusammenbruch stehen, eine »humanitäre Katastrophe« drohen. Angesichts solcher Schreckensszenarien stellt sich allerdings die Frage, was die westlichen Helfer unter für sie doch weit günstigeren Bedingungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Afghanistan eigentlich erreicht haben.

Sollte humanitäre Hilfe sich nicht letztlich selbst überflüssig machen? Ist es den Helfern in Afghanistan tatsächlich nicht gelungen, wenigstens grundlegende Strukturen zu schaffen, die es (zumindest zeitweise) unabhängig von ausländischer Unterstützung machen, sollte deren Wirken überdacht werden, statt den Taliban eine »neutrale« Arbeitsteilung anzubieten, die zu bedingungsloser Komplizenschaft führt.

Mitschuld

Nach gleichwohl vorläufigen Angaben sind bei den terroristischen Anschlägen mitten im Chaos um den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul inzwischen 108 Menschen ermordet worden, unter ihnen mindestens 13 amerikanische Soldaten. Die Verantwortung für das blutige Massaker, bei dem weit auch über 100 Menschen verletzt wurden, hat ein afghanischer Ableger der Daesh übernommen.

Mitverantwortlich sind freilich auch jene, die durch ihre überstürzte Flucht vor den Taliban mit für die Lage um den Flughafen von Kabul gesorgt haben. Konnte Präsident Joe Biden der amerikanische Abzug aus Afghanistan gar nicht schnell genug gehen, hat er damit die Voraussetzungen für die Anschläge geschaffen, die als einer der blutigsten Angriffe auf US-Soldaten der letzten Jahrzehnte gelten.

Die Anschläge führen zugleich anschaulich vor, vor welchem Gegner die nach Afghanistan entsandten westlichen Soldaten mit ihrem »Abzug« tatsächlich die Flucht ergriffen haben. Die Taliban mögen weitgehend wehrlose Mädchen und Frauen drangsalieren können, für Sicherheit vor zumal von Sicherheitsdiensten und in Medien angekündigten Terrorakten können sie ganz offensichtlich nicht sorgen.

War es tatsächlich nötig, Afghanistan diesen Talibärten zu überlassen, in Panik vor ihnen die Flucht zu ergreifen? Hätten diese Islamisten es gewagt, die offene Auseinandersetzung mit NATO-Truppen zu suchen? Die mörderischen Angriffe auf den Flughafen Kabul führen den ganzen Irrsinn dieses »Abzugs« vor, des würdelosen Verrats, den der Westen mit ihm an der afghanischen Bevölkerung begeht.

Debakel

Wer weiß, mit anderen Prioritäten, formuliert von kompetenterem Personal, zumindest der Rückzug des Westens aus Afghanistan wäre womöglich etwas weniger chaotisch, weniger blamabel verlaufen. »Die Bundeswehr«, wurde Anfang Juni berichtet, »muss beim Truppenabzug aus Afghanistan vermutlich auch Zehntausende Dosen Bier und kistenweise Wein und Sekt zurück nach Deutschland fliegen«.

Am Sonntag übernahmen die Taliban mit Kabul auch die Hauptstadt des Landes und riefen das »Islamische Kalifat Afghanistan« aus, wie das Land bereits bis zur gewaltsamen Befreiung von ihrer Herrschaft durch eine internationale Allianz vor 20 Jahren hieß. Die Wiederkehr des »Islamischen Kalifats« ist eine Katastrophe zuvörderst für die Menschen, die kein Flieger vor den Taliban retten wird.

Hatte US-Präsident Donald J. Trump noch einen geordneten Abzug im Sinn, ist es seinem inkompetenter Amtsnachfolger und den Regierungen der anderen am Afghanistan-Einsatz beteiligten Staaten bravourös gelungen, daraus eine heillose Flucht vor den Islamisten und sich mit ihr zum Gespött zu machen. Sie haben sich nicht aus Afghanistan zurückgezogen, sie sind – zumal kampflos – abgehauen.

Es kann vor diesem Hintergrund kaum verwundern, daß auch der afghanische Widerstand gegen die Taliban vor allem durch seine Abwesenheit auffiel. Zwanzig Jahre »Aufbauhilfe«, eine Kernkompetenz, derer sich insbesondere deutsche Regierungsvertreter gern rühmen, erwiesen sich als vor allem teure Verschwendung von Ressourcen – und ein Aufrüstungsprogramm für die islamistischen Sieger.

Liberale Emanzipation

In der vergangenen Woche verhandelte der Deutschen Bundestag einen von der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) eingebrachten Antrag, mit dem die rechtsextreme Partei für ein »Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum« einsetzte. Für die Fraktion der FDP äußerte sich die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr, die ihren bemerkenswerten Vortrag mit einem Zitat begann:

»Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frauen sind dazu da, ihre Pflichten im Haus zu erfüllen. Nur in dringenden Notfällen dürfen sie das Haus verlassen. Dann aber müssen sie verschleiert sein.

So zitiert Friedensnobelpreisträgerin Malala in ihrem Buch aus einer der Radiopredigten des pakistanischen Talibanchefs.«

Doch wer nach einer solchen Einleitung ein Plädoyer für die Würde des Menschen, Gleichberechtigung und gegen Geschlechterapartheid erwartete, eine etwa am Grundgesetz orientierte Zurückweisung pakistanischer Taliban ebenso wie der AfD, der sah sich getäuscht. Die liberale Politikerin erklärte vielmehr, weshalb die Worte des Heiligen Kriegers in Deutschland geachtet werden sollten.

Es sei doch »offenkundig, was passieren würde«, wandte sich Katrin Helling-Plahr an die Antragsteller, »wenn Ihr Antrag Erfolg hätte: Frauen, die bisher [..] gezwungen werden, das Haus nur vollverschleiert zu verlassen, dürften das Haus künftig gar nicht mehr verlassen.« Und damit würden ihnen »das letzte bisschen Freiheit und das letzte bisschen Teilhabe an unserer Gesellschaft« geraubt.

Nun wäre es gewiß unangemessen, der AfD überbordende Menschenfreundlichkeit zu unterstellen. Ihr jedoch zu widersprechen, indem man für nichts anderes plädiert als für eine Unterwerfung des Rechtsstaats unter die Willkür von Taliban oder anderer religiöser Fanatiker, ist lächerlich. Wer argumentiert, Taliban hätten schon jetzt mehr zu sagen als das Grundgesetz, bestätigt die Extremisten.